• addBericht Nr. 4

    Abschlussbericht meines Freiwilligendienstes 2018/19

    12 Monate bzw. 365 Tage in Bolivien sind vorüber. Die Zeit verging rückblickend unglaublich schnell. Die ersten beiden Wochen beim Workcamp in Santa Cruz waren ein toller Start in den Freiwilligendienst. Wir konnten Kontakte zu jungen Erwachsenen aus Bolivien knüpfen, die uns in La Paz in ihre Gemeinden der IELB einluden und mit denen wir auch außerhalb viel erlebten. Die Arbeit in der Hausaufgabenbetreuung in Cochabamba hat mir viel Spaß gemacht, auch wenn es hin und wieder anstrengend mit den Kindern war.

     

    Die Konzentrationsschwäche oder fehlende Motivation mancher Kinder stellten mich vor Herausforderungen. Meist waren es kleine Dinge im Alltag, die mir ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Das war z.B. ein einfaches „Gracias“ nach dem Erledigen der Hausaufgaben. Durch die familiäre Atmosphäre in der Gemeinde und das freundschaftliche Verhältnis zu unseren Vermietern konnte ich mich schnell in der neuen Großstadt einleben. Beim Zwischenseminar in Sucre konnten wir die bisherige Zeit reflektieren und neue Kraft und Energie für die zweite Hälfte sammeln. Nach den zweimonatigen Ferien kamen mehr Kinder und Jugendliche als noch im Vorjahr und durch einen Projektleiterwechsel gab es ein paar Veränderungen. Die alltägliche Arbeit wurde durch Besonderheiten wie dem „Día del Niño“ oder Muttertag geprägt, die für Abwechslung sorgten. Auch konnte ich die Stadt Cochabamba immer mehr kennenlernen und noch andere Orte, wie z.B. den Salar de Uyuni bereisen. Die letzten Wochen waren sehr stressig, trotzdem versuchte ich alles so intensiv wie möglich wahrzunehmen. Der Abschied fiel mir trotz der Vorfreude auf meine Familie und Freunde in Deutschland nicht leicht.

     

    In dem Jahr gab es hauptsächlich Höhepunkte, aber auch Tiefpunkte, über die ich berichten möchte. Einer der Höhepunkte waren die Camps und Freizeiten der IELB. Es war immer schön die Leute aus La Paz wiederzusehen und mit ihnen ein paar Tage mit viel Spaß und Action zu erleben. Zudem waren viele Feste und Traditionen ein Höhepunkt. Todos Santos, das pendant zu Allerheiligen, als wir mit unseren Vermietern aufs Land gefahren sind und typische Brote gebacken haben, Blumen auf dem Friedhof niedergelegt haben und die Lebensweise auf dem Land ein wenig kennenlernen konnten. Auch die Hochzeit einer Pastorin in La Paz wird mir lange in Erinnerung bleiben, sowie Karneval und der Unabhängigkeitstag Boliviens. Doch meistens waren es eben die kleinen Momente im Alltag, die einfach unvergesslich und unbezahlbar sind. Nicht so schön sind die Tage gewesen (zum Glück nur sehr wenige), an denen ich krank war. Ein weiterer Tiefpunkt für mich war der Abschied, da ich nicht weiß, ob die lieben Menschen, die ich kennenlernen durfte, jemals die Chance bekommen nach Deutschland zu reisen oder wann wir uns wiedersehen. Zur Verabschiedung am Flughafen in El Alto sind viele unserer Freunde und der ehemalige Kirchenpräsident Pastor Emilio gekommen. Es war richtig schön, die ganzen Leute nochmals zu sehen, aber eben auch sehr traurig sich von allen verabschieden zu müssen. Als Überraschung und gleichzeitig Abschiedsgeschenk wurden Pullover bedruckt, die wir als Andenken mit nach Deutschland nehmen konnten.

     

    In dem Jahr habe ich nicht nur viel über die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelernt, auch wurde mir klar, wie wichtig Geduld, Flexibilität und Toleranz sind und ich konnte in Bezug auf Selbstvertrauen und Wertschätzung des Lebens einiges mitnehmen.

     

    Geduld: Beim Busfahren ist Geduld, Zeit und Sitzfleisch gefragt. Die Strecken zwischen den großen Städten sind sehr lang, weshalb meist Nachtfahrten angeboten werden. Auch die Arbeit im „Apoyo“ setzt Geduld voraus. Vielen fehlen schon die Grundlagen, d.h. man muss alle einzelnen Schritte genau erklären. Auch kommt es vor, dass am nächsten Tag alles Gelernte wieder vergessen wurde und man alles oft wiederholen muss.

     

    Flexibilität: Im Projekt konnte man meist schlecht im Voraus planen, da man nie wusste wie viele Kinder an diesem Tag kommen werden. Meist kamen zwischen 12 und 22 Kinder. Manchmal waren es aber auch mehr, sodass die Stühle nicht reichten oder es kamen weniger als 10 Kids und Teenager. Um den Refrigerio oder Gruppenspiele zu planen, fiel deshalb manchmal etwas schwer und man musste eben flexibel agieren.

     

    Selbstvertrauen: Während dem Jahr habe ich gelernt, auf mich selbst zu vertrauen, eigenständiger zu sein und mich auf Unbekanntes einzulassen. Nie im Leben hätte ich mir zuvor zugetraut, allein durch Südamerika zu reisen. Im Januar besuchte ich meine ehemalige chilenische Gastfamilie und fuhr knappe 1500 Kilometer mit dem Bus durch Bolivien und Chile. Es war eine super Erfahrung und die Bekanntschaften, die ich machen durfte, möchte ich nicht missen.   

     

    Toleranz: Ich habe Toleranz und Akzeptanz mir gegenüber erfahren und gleichzeitig Toleranz und Anpassungsfähigkeit gelernt. Ich denke, dass es wichtig ist zu beobachten, ohne die fremde Lebensweise gleich zu beurteilen, da es sonst schwerfällt, sie zu verstehen und annehmen zu können. Auch sollte man nicht nur die fremde Lebensart hinterfragen, sondern vor allem auch die eigenen Gewohnheiten überdenken. Ist das Konsumverhalten in Deutschland wirklich notwendig oder könnten wir nicht auch mit weniger auskommen? 

     

    Das Leben schätzen zu lernen: Es ist ein wahres Privileg in einem wohlhabenden Land wie Deutschland leben zu dürfen. Warmes Wasser, Heizungen, durchgängige Versorgung mit Leitungswasser und Strom, das für uns als selbstverständlich gilt, ist in Bolivien Luxus. Ich habe gemerkt, dass ich mit viel weniger auskomme als ich dachte und mein Konsumverhalten noch mehr hinterfragt. Aufgrund eigener Erfahrung wurde ich für globale Probleme noch stärker sensibilisiert. Vor allem spielten die Themen soziale Ungleichheit, Klimawandel und ausreichende Bildung für alle eine Rolle. Die heftigen Regenwaldbrände in Südamerika bekam ich nicht nur durch Berichte in den Medien mit. Mit eigenen Augen konnte ich sehen, wie es in Cochabamba durch die lange Trockenheit zu kleinen Waldbränden kam. Die Schere zwischen Arm und Reich geht spürbar auseinander. In dem Stadtviertel, wo ich wohnte, gab es nur wenige Meter entfernt eine „Gated Communities“, mit 24 Stunden Pförtnerdienst, Überwachungskameras und großen Einfamilienhäusern mit Pools. Hingegen sind die Häuser in der Umgebung sehr einfach gebaut. Keine Überwachungskameras, sondern Hunde sorgen für die Sicherheit. Während der Regenzeit sind Tanklaster für die Wasserversorgung der umzäunten Wohnanlagen zuständig, wohingegen den restlichen Häuser nur ihre Wassertanks bleiben. Dann gilt es zu hoffen, dass sie damit auskommen, bis die lokalen Wasserversorger die Leitungen wieder freigeben.

     

    Interkulturelle Zusammenarbeit ist ein wichtiger Punkt des Freiwilligendienstes. In meiner Einsatzstelle waren mein Mitfreiwilliger und ich die ersten weltwärts-Freiwilligen. Für die Projektleiterin war somit die Arbeit mit uns eine neue Erfahrung, was jedoch keinerlei Probleme darstellte. Toleranz und Verständnis spielten dabei natürlich eine große Rolle. So waren unsere Aufgaben nicht sofort festgelegt und es hat eben seine Zeit gebraucht bis ich meine Rolle im Projekt gefunden habe.

     

    Ein besonderer Moment in dem Jahr war, als ich merkte wirklich in meinem neuen Leben hier angekommen zu sein. Die Stadt Cochabamba war mir nicht mehr fremd, nun kannte ich schon mehr als nur die wichtigsten Trufi-Linien, um ins Zentrum zu kommen. Zu unseren Vermietern und gleichzeitig Projektleiterin/innen hatte ich ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut, auch die Kinder und Jugendlichen im Projekt kannten mich nun viel besser. So war ich nicht nur Betreuerin bei der Hausaufgabenbetreuung, sondern gleichzeitig Ansprechperson für persönliche Probleme, „große Schwester“ oder „gute Freundin“. Viele der Kinder und Jugendlichen haben keine so unbeschwerte Kindheit oder Jugend, wie ich sie erleben durfte. Streit und Alkoholiker in der Familie, sowie häusliche Gewalt sind leider keine Seltenheit.  Auch wenn sich mein neu aufgebautes Leben sehr von dem in Deutschland unterscheidet, bin ich überglücklich, dass ich meinen Freiwilligendienst in dem Projekt der IELB in Cochabamba absolvieren durfte.

     

    Die überaus große Gastfreundschaft, die unbändige bolivianische Lebensfreude, alle Erfahrungen egal ob gut oder schlecht, die mich geprägt haben, die netten und hilfsbereiten Menschen, die bolivianische Kultur mit all den vielen Festen, Feiertagen, Traditionen und Bräuchen, die lebendige und chaotische Stadt Cochabamba, die Sonntagnachmittage mit den Teenagern auf der Canchita (Fußballplatz) zu verbringen und noch vieles mehr, was mir vermutlich erst in ein paar Tagen oder Wochen bewusst wird, wenn ich mich wieder richtig in Deutschland eingelebt habe. All das haben das Jahr in Bolivien für mich ausgemacht. Jede Erfahrung, Begegnung, Bekanntschaft und jedes Abenteuer sind einzigartig. 

     

    Für meine Zukunft hoffe ich, die Freude und den Spaß an sozialem Engagement mitnehmen zu können und während meines Studiums Zeit finde, auch hier aktiv zu werden. Die Gelassenheit der Bolivianer möchte ich mir ein Stück weit erhalten und vor allem ihre pure Lebensfreude mitnehmen. Egal wie lange der Nachtbus nach La Paz schon Verspätung hat, gemeckert wird hier selten.

     

    Der Freiwilligendienst ist eine große Chance und in keinem Moment habe ich meine Entscheidung bereut. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen meinen Unterstützern bedanken, sowie allen vom GAW, die eine großartige Arbeit leisten und mich während meines Freiwilligendienstes super begleitet haben. An die Leser, die sich einen Freiwilligendienst im Ausland vorstellen können, ergreift die Chance, seid offen für alles Neue und geht an eure Grenzen. Ich hoffe, dass ich allen Interessierten einen kleinen Einblick in meinen weltwärts-Freiwilligendienst geben konnte und euch meine Erlebnisse und Erfahrung durch die Berichte ein Stückchen näherbringen konnte. 

     

    ¡Gracias por todo!

    Eure Hanna