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    Hallo liebe Familie, Freunde und Unterstützer,

    ein ganzes Jahr ist schon wieder um. Die Zeit verging so schnell und jetzt bin ich wieder in Deutschland!

     

    Ich konnte es kaum glauben als ich nach Santiago gefahren bin, dass ich wirklich heimfahre und für eine sehr lange Zeit nicht nach Valdivia bzw. Chile zurückkommen werde. In den letzten zwölf Monaten habe ich so viel erlebt, dass ich gar nicht weiß wo ich anfangen soll, wenn mich jemand fragt wie es war. Ich durfte Chile von so vielen verschiedenen Seiten kennenlernen:

    Ich habe als Freiwillige in zwei tollen Projekten mit sehr lieben und süßen Kindern gearbeitet, ich habe die Erfahrung gemacht Ausländerin und fremd zu sein und darauf angewiesen zu sein sich in eine fremde Kultur einzubringen. Meine unglaublich liebe Gastfamilie hat mich als ihre „hija alemana“ (deutsche Tochter) in ihr Leben aufgenommen und hat mir ihr Chile gezeigt. Ich durfte mit ihnen Weihnachten verbringen und konnte mit ihnen über all meine Eindrücke und Gedanken sprechen. In meiner Freizeit und in den Ferien bin ich als Touristin durch das ganze Land gereist und habe die schönsten Landschaften gesehen. Die Arbeit mit den Kindern hat mir sehr viel Spaß gemacht. Vor allem mit den ganz kleinen 2 Jährigen. Dabei sind es kleine Momente oder Gesten, die einen Tag zu etwas Besonderem machen.

     

    Zum Beispiel, wenn die Kinder das erste Mal „Tía Helen“ (Tante Helen) riefen, wenn sie mir entgegen rannten oder als ein Mädchen aus dem nichts „Hoppe, hoppe, Reiter“ sagte. Das Reisen an den Wochenenden und in meinen Ferien waren auch immer Höhepunkte. Die Landschaft Chiles ist wirklich atemberaubend! Auch kulturell haben mich vor allem Peru und Bolivien beeindruckt und ich hatte immer sehr viel Spaß mit meiner Volleyball-Mannschaft, die mir das chilenische Studentenleben gezeigt und mir „chileno“, das chilenische Spanisch, beigebracht haben.

     

    Es gab auch die ein oder anderen Tiefpunkte, zum Beispiel wenn einer meiner Workshops nicht so gut ankam und am Anfang ist es mir schwer gefallen mich als „Tía“ bei manchen Kindern zu etablieren. Heimweh hatte ich zum Glück nie so richtig. Natürlich habe ich meine Familie und meine Freunde mal mehr, mal weniger vermisst, vor allem nachdem meine Eltern zu Besuch waren. Aber ich habe nicht ein einziges Mal meine Entscheidung für meinen Freiwilligendienst bereut. Für mich war das ganze Jahr ein Lernprozess. Man lernt so viel über das Einsatzland, die Menschen, ihre Kultur und Lebensweise, über globale Zusammenhänge, ich habe aber auch Deutschland mit anderen Augen kennengelernt. Im Vergleich zu anderen Ländern leben wir im puren Luxus und ich glaube uns ist das leider gar nicht so sehr bewusst.

     

    Ich habe für mich selbst auch so viel gelernt. Horizonterweiterung hört sich immer so förmlich an, aber anders kann man es nicht ausdrücken. Meine Sichtweisen sind jetzt viel differenzierter und vielschichtiger. Es gibt so viel auf der Welt, was einem die Schule nicht beibringen kann und was man einfach selber gesehen haben muss, damit man es auch wirklich begreift. Gleichzeitig können wir unglaublich dankbar für die sehr gute, kostenlose Bildung sein und dass uns so viele Möglichkeiten offen stehen und wir in unserem Leben eigentlich alles machen können was wir möchten.

     

    In dem ganzen Jahr hatte ich zwar immer die Unterstützung von meiner Familie, Gastfamilie, Freunden, GAW und vielen mehr, doch letztendlich war ich trotzdem allein in einem fremden Land und es lag allein an mir was ich daraus machen würde. Ich habe gelernt mehr auf andere zuzugehen und offen über alles zu reden und wie ich mehr Selbstinitiative zeigen kann. Was in meinem Freiwilligendienst vollkommen neu für mich war (abgesehen von Ferienjobs), war der Arbeitsalltag und der Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen. Von der Schule kennt man sowas gar nicht und für mich war es eine sehr wertvolle Erfahrung. Die offensichtlichste Entwicklung sieht man an meinem Spanisch, das ich zu einem sehr großen Teil meiner Gastfamilie zu verdanken habe, die mich immer verbessert und mir geholfen hat.

     

    Die Unterschiede zwischen Chile und Deutschland sind auf den ersten Blick gar nicht so groß. Der Lebensstandard ist beim Großteil der Bevölkerung relativ hoch, aber natürlich immer noch niedriger als in Deutschland. Richtige Armut, wie in Bolivien, sieht man selten. In Chile fehlt die Absicherung durch den Staat. Mit der Rente kommt man nicht mal ansatzweise über die Runden und die Bildungspolitik lässt zu wünschen übrig. Gute Bildung bekommt man nur, wenn man monatlich viel Geld an die privaten Schulen zahlt. Staatliche Schulen haben leider keinen guten Ruf. Studieren ist dann nochmal teuer. So entsteht eine große Chancenungleichheit. Mir hat es viel Spaß gemacht und fand es sehr interessant andere Kulturen und Traditionen kennenzulernen. Es war schön zu sehen, dass es zahlreiche verschiedene Lebensweisen gibt. Schade fand ich in Chile, dass sich vieles doch an den USA orientiert und seinen individuellen Charme verloren hat. Manche sagten mir, dass liege daran das sie ihre Kultur an die Wirtschaft „verkauft“ haben. Vielleicht ist Chile deswegen eines der am weitesten entwickelten südamerikanischen Länder.

     

    Besondere Momente gab es in diesem Jahr ganz viele. Vor allem bei den Kindern freut man sich über jede Kleinigkeit, die ihre Zuneigung und ihr Vertrauen zu mir ausdrückten. Ich habe sie sehr ins Herz geschlossen und werde ihre Fröhlichkeit und Ausgelassenheit sehr vermissen. Beim Reisen war ein schöner Moment als ich auf den Vulkan Villarica gestiegen bin und Lava im Krater gesehen habe. So ein Naturschauspiel ist überwältigend. Genauso beeindruckend war der kleine Ausflug durch den peruanischen Regenwaldrand. Südamerika ist so vielseitig! Was mich jedesmal beeindruckt hat, war wie fürsorglich die Menschen sind. Es wird alles geteilt und viel geschenkt. Sogar die Kinder wollten ihre Süßigkeiten mit mir teilen, obwohl sie selber nicht so viele hatten.

     

    Dieses Jahr hat mich eigentlich in jeder Hinsicht weitergebracht. Ich durfte die Welt besser und von einer anderen Seite kennenlernen. Mir wurde noch deutlicher, dass es viel wichtigeres als materielle Dinge gibt. Viele Menschen auf der Welt leben unter viel schwereren Bedingungen und sie haben den Anschein mindestens genauso glücklich und unbeschwerter zu sein. Es tat gut mal aus dem gewohnten Alltag in Deutschland rauszukommen, neue Menschen, ihre Kultur, ihr Land, ihre Lebens- und Arbeitsweise, den Umgang mit ihren Kindern, mit der Umwelt kennenzulernen. Nach einem Jahr im Ausland weiß ich alles, was ich in Deutschland habe, besser wertzuschätzen. Ich weiß jetzt was ich an unserer Kultur mag und was nicht. Generell regt das Jahr zum Nachdenken an. Man fängt an Dinge zu hinterfragen, die eigentlich immer ganz selbstverständlich waren. In Bezug auf die globale Ungerechtigkeit bin ich viel sensibilisierter geworden. Außerdem habe ich gelernt spanisch bzw. chileno zu sprechen, was mir viel Spaß macht und auch in Zukunft beim Studium helfen wird und mir die Möglichkeit gibt mit Menschen aus fast ganz Südamerika und Spanien zu reden.

     

    Für die Zukunft nehme ich alle meine positiven und wenigen negativen Erfahrungen, alle Begegnungen mit den verschiedensten Leuten und hoffentlich die Leichtigkeit der Südamerikaner mit. Die wunderschöne Natur und die teilweise sehr mit Plastik vermüllten Städte Südamerikas haben mich nochmal mehr dazu angeregt nachhaltiger und umweltbewusster zu leben. In dem Jahr ist mir aufgefallen wie wenig Materielles man für ein glückliches Leben braucht und dass dem Klima schon viel geholfen wäre, wenn wir unser Konsumverhalten deutlich ändern würden. Die Menschen sind mit ihrer Offenheit, ihrer gegenseitigen Fürsorge und ihrer Herzlichkeit ein Vorbild und ich hoffe, dass ich mir das in Deutschland beibehalten kann. Ich bin viel unabhängiger, selbstständiger und selbstbewusster geworden. In Zukunft möchte ich alles bewusster und dankbarer wahrnehmen. Ich hoffe, dass ich meine Gastfamilie, meine Freunde, Bekannten und Kollegen in Chile nicht zu schnell aus den Augen verliere.

    Ich bedanke mich bei allen Unterstützern, meiner Familie, meinen Freunden, meiner Gastfamilie, dem GAW, der Iglesia Luterana de Chile und allen die mich in diesem Jahr begleitet und unterstützt haben.

     

    Vielen Dank! Muchas gracias!